Biennale von Kochi-Muziris 2016/2017 – Wenn Eric van Lieshout Indien liebt (3)

Endlich drin! „I love India / India love me“: Die Biennale als postkoloniale Bühne

Der Künstler Eric van Lieshout, von diversen früheren Biennalen, etwa der Manifesta 10 in St. Petersburg 2014, bekannt als enfant terrible, wartet an der dritten Biennale von Kochi mit dem „Dutch Pavillon 2.0“ auf. Schon diese Bezeichnung spielt auf recht hinterhältige Weise mit dem Verhältnis des globalen Biennaleformats zum lokalen Kontext. Der Künstler macht sich, scheint es, lustig über das postkoloniale Setting, die Unterbringung der Biennale in verschiedenen ehemaligen Lagerhäusern, die früher den wechselnden Kolonialherren für den Warenumschlag dienten.

Sie sind ein sichtbar gebliebenes Glied in der Kette der Bereicherung der europäischen Eroberer durch den Handel mit den nicht umsonst so genannten „Kolonialwaren“, Gewürze, Tee, Zucker, und sie sind zentral für Kochis Geschichte. Das ehemalige Gewürzhandelshaus „Pepper House“, ein Nebenstandort der Biennale, wo sich van Lieshouts Arbeit findet, wäre in seiner ursprünglichen Funktion also der „Dutch Pavillon 1.0“ gewesen. Wenn man diese Interpretation noch ein wenig weiterspinnt,  dann wäre die Kunst die nächste Stufe der Kolonialisierung, indem eine genuin europäische Kunstform, die Biennale, nun in dem ehemaligen Gewürzlager stattfindet. Das Geschäft mit Import-Export ist keine Einbahnstrasse.

DSC01938Foto: Der „Dutch Pavillon 2.0“ von Eric van Lieshout im „Pepper House“ in Kochi

Aber was genau passiert nun in Eric van Lieshouts „Dutch Pavillon 2.0“? Der plakative Slogan „I love India / India love me“ draussen an der Wand scheint nur einer vagen und noch dazu in versehentlich oder absichtlich – das bleibt hier offen – falschem Englisch formulierten, arg naiven Indien-Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Oder soll „India love me“ gar keine Behauptung sein – korrekt müsste es ja „India loves me“ heissen -, sondern eine Aufforderung an Indien, den Künstler bitte sehr zu lieben, wenn er sich schon an eine Biennale bemüht?

Möglich ist beides – und van Lieshout greift so im Vorübergehen auch noch etwas auf, was man beim Besuch im vor der Unabhängigkeit zuletzt von den Engländern verwalteten Indien immer wieder mit Erstaunen wahrnimmt: Das Englisch, das im südindischen Alltag heute gebraucht wird, hat seit der Unabhängigkeit eigene Wege genommen, wurde überformt. Manche grammatisch korrekte Form ging vergessen. Oxford ist weit weg. Die lokale Sprache ist übrigens Malayala, und gerade die einfacheren Menschen sprechen oft kaum mehr als ein paar rudimentäre Brocken Englisch. Wer Englisch hier einigermassen gut beherrscht, gehört schon klar einer gebildeteren Schicht an.

Bevor wir neugierig in den „Dutch Pavillon 2.0“ hineingehen, schliesslich ist Neugierde auf das Neue, das einem in jedem Raum erwartet, ein wichtiges Motiv für den Besuch von Biennalen, gibt es draussen an der Wand noch ein paar improvisierte Anschläge. Auf einem liest man beispielsweise dies:

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„In India is the good attitude the good attitude – the right attitude is the right attitude“. Das Objekt gleich darunter ist eine halbe Kokosnussschale, die als Gefäss für eine Öllampe dient. Es ist nicht ganz klar, ob es zum Haus gehört oder zur Installation. Der Spruch klingt wie eine indische Weisheit, ein Zitat aus dem unendlichen Fundus buddhistischer und esoterischer Formeln zur Lebensbewältigung. Aber woher kommt dieser Brosamen praktischer Philosophie, der platt und ziemlich idiotisch klingt? Hat der Künstler ihn irgendwo aufgeschnappt oder ist es eine Quintessenz seiner Erfahrungen in dem Land? Auch das bleibt offen, und spätestens beim Studium des nächsten an die Wand geklebten Zettels wird klar, dass diese Vagheit Methode hat.

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Die Reflexion über den Umgang mit Kunden, Besuchern oder Gästen stammt von Mohandas Karamchand Gandhi. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem halb vertraut, halb unvertraut anmutenden Namen der berühmte Mahatma Gandhi, der mit seinem Aufruf zum gewaltlosen Widerstand das postkoloniale Indien auf den Weg brachte und bis heute gefeiert wird für seine friedfertige Revolution (die indische Standardbriefmarke zeigt sein Konterfei, übrigens in bezeichnender Analogie zur britischen Standardbriefmarke mit dem Cameo der Queen als Sujet). Doch Gandhis Empfehlung könnte einem zeitgenössischen Business-Ratgeber, Kapitel Kundenorientierung, entnommen sein. Eric van Lieshout will wohl auch hier Linien verwischen, klare Zuordnungen erschweren und etablierte Klischees – Gandhi als der ausgemergelte, selbstgenügsame Friedensapostel – durchkreuzen.

Unter den diversen Botschaften an der Wand beim Eingang in den Raum durch eine halb offen stehende Türe findet sich auch ein Hinweis auf eine Videokamera, die das Geschehen im Inneren des Gebäudes überwache. Die Warnung ist ernst gemeint: Tatsächlich wird, wer sich in den „Dutch Pavillon2.0“ begibt, Teil des Projekts von van Lieshout: Eine Überwachungskamera filmt die Besucher der Biennale und ihr Verhalten als Entdecker eines neuen Kunstwerks. Die Beobachtung zweiten Grades, die Beobachtung der Beobachter, ist das eigentliche Kunstprojekt, das man allerdings – vielleicht – erst in einer weiteren Biennale oder Ausstellung zu sehen bekommt.

Das zu entdeckende „Kunstwerk“ van Lieshouts hingegen besteht aus einem schmuddeligen Interieur, einer Art Stall, in dem Ziegenköttel, schliesslich sind in Kochi permanent frei lebende Ziegen unterwegs, ebenso zu finden sind wie vertrocknete Äste und Heu, ein Tisch, ein Plakat mit der genaueren Erklärung des Videoprojekts und schliesslich eine Holzwand mit einem ziemlich niedrigen, sogar für einigermassen Sportliche beschwerlichen Durchgang in den dahinterliegenden Raumteil. Ein Setting, das sich über die Primitivität der Verhältnisse zu mokieren scheint, die man auch in Kochis Strassen und Hinterhöfen durchaus vorfindet.

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Noch eine Überraschung gefällig? Als pflichtbewusster Biennalebesucher und zugleich im Bewusstsein, als Laienschauspieler für einen künstlerischen Film von Eric van Lieshout zu dienen, quält man sich durch die enge Passage in den hinteren Teil des Raumes. Dort finden sich die Reste eines Sofas sowie eine Musikanlage, die völlig verstaubt und wie das Sofa nicht sehr verlockend ist. Ich hatte jedenfalls keine Lust, hier die Erforschung weiter zu treiben und mich am Ende komplett lächerlich zu machen, noch dazu als Statistin in einem Film. Vielleicht ist mir auf diese Weise indische Meditationsmusik entgangen oder sonst irgend etwas von Bedeutung?

Foto unten: Hinterer Raum, in den man hineinkriechen muss

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Es ist nun vollends klar, Eric van Lieshout geht es darum, alle nur denkbaren Erwartungen zu untergraben (das alte Spiel der Kunst, neu aufgelegt), die im Rahmen einer Biennale, zu der man extra von weither anreist, besonders hoch sind. Es geht ihm aber auch darum, die (Selbst-)Inszenierung mit und für die Kunst, die zu diesem Spiel inzwischen längst dazugehört, radikal blosszustellen. Respektive nur vordergründig zu befriedigen, indem den Besuchern seiner Installation ja immerhin eine Rolle in einem seiner späteren Kunstwerke, eine Art Verewigung in Kunst also, zugesprochen wird.

Doch ganz sicher sein kann man sich dessen nicht, vielleicht ist die Kamera oben in der Ecke ja eine Attrappe, oder sie ersetzt einfach nur das Aufsichtspersonal, das hier völlig abwesend ist. Womöglich empfiehlt es sich also, den Beipackzettel, den der Künstler vorne im Raum an die Wand gehängt hat, nochmals genauer zu studieren.

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Das führt aber nicht wirklich weiter. Hier wird vor allem das komplette Produktionsteam vorgestellt, der Abspann des noch zu produzierenden Filmes also mit dem Titel „Public“ – was wiederum sprachlich mehrdeutig ist, kann es doch „öffentlich“ ebenso heissen wie „Publikum“.

Aber was, wenn dieser Film gar nie produziert wird? Es könnte alles ein Fake sein. Auch dann wäre es noch immer – oder erst recht – ein ziemlich radikales und ziemlich raffiniertes Werk über das komplizierte Verhältnis von Kunstwerk, Künstler, Publikum und dem grösseren Kontext, Kochi als der ersten Biennalegründung in Indien, der ehemals holländischen Kolonie, die längst unabhängig ist, aber nun zum Beispiel mit einem solchen etablierten Kunstformat ihren Anschluss an die auch wirtschaftliche Erfolgs-Erzählung der Gegenwartskunst zu finden.

Als ich mit solchen Gedanken im Kopf wieder aus dem „Dutch Pavillon 2.0“ in die schon im März heisse indische Mittagssonne hinaustrete und zur nächsten künstlerischen Position im „Pepper House“ weiterlaufe, komme ich an einer schönen blauen Holztüre vorbei, eine weitere Aussentüre zum Raum von Eric van Lieshout. „Nothing inside“ hat jemand mit Kreide draufgeschrieben. Der Künstler? Die Ausstellungsmacher? Das Aufsichtspersonal im Pepper House, das genervt ist, wenn Leute an der Türe rütteln? Es klingt für mich inzwischen auch wie eine Warnung: Was immer man sucht in dieser Biennale, man wird es nicht finden. Oder anders, als man dachte. I love India / India love me.

(Fortsetzung folgt…)

(C) Barbara Basting 2017

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