Vielleicht mutet es seltsam an, dass ich meinen vierteiligen Bericht vom Besuch der Kochi-Muziris-Biennale im März 2017 sozusagen vom Schwanz her aufzäume.
Aber diese „Nebenwege“, auf denen ich mich in den bisherigen drei Kapiteln der Biennale angenähert habe, entsprechen durchaus dem spezifischen Charakter dieser Biennale. Nicht zuletzt sogar drückt sich das in ihrem Motto aus: „Forming in the pupil of an eye“ (etwa: es geschieht im Auge des Betrachters). Der Kurator Sudarshan Shetty hat es einer alten indischen Erzählung entliehen, und es geht ihm damit um die verschiedenen Sichtweisen in der Wahrnehmung der Welt. Er sieht sie nicht als konkurrierende, sondern als einander überlappende, sich dadurch gegenseitig bereichernde Wahrnehmungsweisen. Gar nicht so weit weg vom analytischen Philosophen Nelson Goodman, der vor drei Jahrzehnten die Produktion ästhetischer Fiktionen als „ways of worldmaking“, Weisen der Weltproduktion, analysiert hat.
Sudarshan Shetty, der als einer der international bekanntesten indischen Künstler gilt, spricht in seiner vergleichsweise kurzen kuratorischen Notiz (http://www.kochimuzirisbiennale.org/kmb_2016_curatornote/#) von „seiner“ Biennale aber auch als einem reich verzweigten Flusssystem mit Haupt- und Nebenflüssen, deren Dynamik sich durch Einwirkungen des Wetters, der Jahreszeiten und der Gezeiten ändern kann, wie man es in Kochi unmittelbar erfahren kann. Die vielgliedrige Stadt liegt an der Mündung eines komplizierten Brackwasser-Systems mit mehreren Flüssen, die das Hinterland mit dem Ozean verbinden. Die Kochi-Muziris Biennale, 2012 als erste Biennale auf dem indischen Subkontinent gegründet, ist auch ein Unternehmen, die indische Kunstszene an das globale System der zeitgenössischen Kunst anzuschliessen. Dieses System ist schliesslich ein doppeltes: Es ist ein Kulturnetzwerk, es ist aber zugleich auch ein Teil der Tourismus- und Freizeitindustrie. Der indische Teilstaat Kerala ist hier bisher hauptsächlich durch Ayurveda und Wellness positioniert – das mit ein wenig zeitgenössischer Kunst aufzupeppen, kann nicht schaden, wird man sich gesagt haben.
Eric van Lieshouts „Dutch Pavillon 2.0“ (siehe voriger Beitrag, III.) erwies sich für mich in mancherlei Hinsicht als eine Hauptschlagader dieser pulsierenden Biennale. Denn es ist eine Biennale der Atmosphären und Räume, durch die die Gespenster der Geschichte wie auch die Geister (und manchmal Ungeister) einer komplexen, immer weniger leicht fassbaren, immer schwerer zu beschreibenden, zerfransenden Gegenwart schweben.
Die atmosphärische Dichte verdankt sich nicht zuletzt den Standorten der Biennale. Die in die Jahre gekommenen Lagerhäuser, die zum Teil noch benutzt werden, wie das auch wegen seiner Grösse besonders eindrückliche Anand Warehouse, liefern mit ihrer Patina, manchen wohl noch aus den Zeiten des British Empire stammenden Uralt-Geräten, Bakelit-Telefonen zum Beispiel, einen fast aufdringlich melancholischen Rahmen für die Kunst. So treten in den früheren Büros im 1. Stock des Lagergebäudes, wo schon allein die abblätternden Schichten der Wandfarben Geschichten erzählen, Bharat Sikkas stille Fotografien aus dem tristen, ärmlichen Alltag des von Konflikten schwer gezeichneten Kaschmir beinahe in Konkurrenz zu den Räumen, die Schauplatz einer anderen, nicht minder interessanten Vergangenheit waren. So dass man sich zu fragen beginnt, ob die Dokumentation und Illustration der Geschichte dieses Ortes nicht mindestens genauso spannend wäre.

Überhaupt wirkt hier in Südindien noch bemerkenswert authentisch und echt, was vor drei Jahrzehnten in Europa und den USA Mode wurde: Ehemalige Fabriken oder sonstige leerstehende Industriegebäude zu Kunstorten zu machen, wie die (inzwischen leider geschlossenen) Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen oder, ein besonders prominentes Beispiel, das Arsenale in Venedig. In Europa sind die meisten dieser ehemaligen Industriebauten inzwischen derart zurechtsaniert, dass die ursprünglich frische Geste der Erschliessung neuen Terrains für die zeitgenössische Kunst etwas Routiniertes hat. Mit der Patina dieser Räume wurde oftmals auch ihre Vorgeschichte als keineswegs immer nur komfortable Werkplätze übertüncht. Ganz abgesehen davon steht das Manöver der Übernahme heruntergerockter Industrieviertel durch die Kunstwelt heute auch für eine immer häufiger kritisch kommentierte Aufwertung und Gentrifizierung im Dienste von Immobilienunternehmen.
Dass die atmosphärische Aufladung durch das Zusammenspiel von Räumen und Kunstwerken in der zeitgenössischen Kunst oft genug zu einer so pathetischen wie hilflosen Geste wird, gerade wenn es um die akuten Krisen der Gegenwart geht, kann man in Kochi auch sehen. Raúl Zurita (Chile) ist in diesen Fettnapf getreten. Seine Arbeit thematisiert die syrische Flüchtlingskrise, die hier nicht nur geografisch, sondern auch politisch ziemlich weit weg ist. Zurita hat den Boden einer sehr langgestreckten hohen Halle im Aspinwall House, dem Hauptstandort der Biennale, zu einer Betonwanne gemacht und mehr als knöchelhoch mit Wasser gefüllt. Man muss barfuss hindurchwaten, um ein an der Stirnwand der Halle auf einer hell beleuchteten weissen Wand angeschlagenes Gedicht lesen zu können.

Das Gedicht erinnert an Galip Kurdi, das ertrunkene Kleinkind am türkischen Strand, dessen Bild vor zwei Jahren um die Welt ging. Allerdings darf man davon ausgehen, dass bei aller momentanen Ratlosigkeit, die sich an den betretenen Gesichtern der Besucher ablesen lässt, das Kunstwerk von Zurita wohl letztlich so folgenlos bleiben wird wie das Foto des Kleinkinds, das schliesslich schon von Ai Weiwei in einem hochnotpeinlichen Reenactment aufgegriffen wurde (darauf geht Zurita nicht ein in seinem Werk).
Dass solche etwas wohlfeile und letztlich den Kitsch streifende Kunstwerke an der Kochi-Biennale eher rar sind, ist positiv zu vermerken. Umgekehrt ist mir selten so bewusst geworden wie hier, welche standardisierte Entlastungsfunkion derart oft vorschnell als „politisch“ qualifizierte Arbeiten, die mit dem schlechten Gewissen spielen, gerade in europäischen Grosskunstveranstaltungen inzwischen einnehmen. Natürlich gibt es durchaus Gründe, warum man in Europa eher ein schlechtes Gewissen hat mit Blick auf den gegenwärtigen Weltzustand – vielleicht, weil jeder halbwegs Informierte heute weiss, wie viel dieser mit der aggressiven (Kolonial-) Geschichte der Europäer und Nordamerikaner und deren bis heute fortwirkenden Folgen zu tun hat.
Mit eher archaisch-rustikal anmutenden Atmosphären dagegen arbeiten Ales Steger mit seiner markanten begehbaren Lehmpyramide „Pyramid of Exiled Poets“ im Innenhof des Aspinwall House, in der man Gedichte toter exilierter Dichter hören kann, und Katrina Neiburga/Andris Eglitis in ihrer Palmblatt-Behausung im Cabral Yard.

Ähnlich wie in van Lieshouts Installation wird man drinnen nicht nur mit erdig riechender, stickiger Luft, sondern auch mit Medientechnologie konfrontiert, in diesem Fall mit interaktiven Filmen und Projektionen. Sie schälen sich allmählich aus dem Dunkel heraus und drehen sich allesamt um Guru-Religion und Mystizimen als Konsumartikel; eine ortsspezifische Auseinandersetzung mit Indien als üppigem Markt für alle möglichen spirituellen und esoterischen Angebote, bei denen Religion als Lifestyle-Element dient.
Eher um Immersion durch Überwältigung geht es dagegen Voldemars Johansons mit einer staunenerregenden, technisch aufgepimpten Videoinstallation des Nordatlantik, den er während eines Sturmes vor den Lofoten gefilmt hat. Das ist prächtig anzuschauen und zieht das Publikum scharenweise in Bann. Aber es ist eben auch einen Tick zu kalkuliert, zu perfekt, zu angestrengt. Zum Glück ist auch diese Art Hightech-Erhabenheitspathos, das an die auftrumpfende Videokunst der Nullerjahre erinnert, eher die Ausnahme an dieser Biennale. Neben Johanson fällt vor allem die russische Gruppe AE+S negativ auf damit.
Wesentlich besser gefiel mir eine auf ganz andere Weise intensive, aber viel zurückhaltendere Installation von Lantian Xie, vielleicht auch, weil sie das insgesamt hier eher seltene Register des leicht Absurden zieht. Zunächst nimmt man eine Gruppe von 16 sich drehenden Ventilatoren an der Raumdecke wahr. Sie sorgen für einen feinen Luftzug. Doch letztlich ist diese elektrisch erzeugte Zirkulation verlorene Liebesmüh. Denn wie der Ventilator in meinem Hotel machen diese Ventilatoren zwar gewaltigen Lärm, bringen aber wenig Linderung in der schwülen indischen Luft. Aber da war auch ein Hundebellen ganz am Anfang. Und was hat die ein wenig naive Zeichnung an der Wand mit all dem zu tun? (Abbildung: Link am Ende des Beitrags)
Die Zeichnung zeigt eine indische Kleinversion des Burj-al-Arab. Der Burj-al-Arab war eines der ersten „Signature buildings“, das für den rasanten Boom Dubais als dem Motor des Aufschwungs in den Vereinigten Arabischen Emirate während der letzten zwei Jahrzehnte steht. Lantian deutet damit die ziemlich engen Verflechtungen zwischen den Emiraten und Kochi an, die einem in Europa gar nicht so bewusst sind. Zugleich versteht er seine Arbeit, lese ich später, als eine Art Geisterbeschwörung.
Tatsächlich stammen Legionen von Wanderarbeitern in der Golfregion aus Indien, der Flughafen Kochi wird direkt von der die Region dominierenden Emirates-Fluglinie angeflogen. Von der permanenten Arbeitsmigration bekommt man sogar als Touristin mühelos einiges mit, wenn man am Flughafen und auch sonst nur ein bisschen drauf achtet. Etwa im Gespräch mit einer jungen muslimischen Pendlerin auf einer der eher untouristischen, schrottreifen Uralt-Fähren in Kochi, die mir ihren Traum schildert: Als Reisekauffrau in Dubai unterzukommen, weil es in Kerala zu wenig Perspektiven für sie gibt.
Der Künstler, erfährt man, lebt als in Bahrain geborener Chinese selber in den Emiraten. Den prekären Status als Immigrant teilt er mit den allermeisten Wanderarbeitern dort, auch wenn er sich als Künstler internationale Bewegungsfreiheit erarbeitet hat. Den indischen Bauarbeitern und Taxifahrern geht es schlechter: Etliche existieren unter schwierigen Bedingungen, dabei halten sie den Betrieb in den Emiraten am Laufen, genauso unermüdlich und mechanisch wie die Ventilatoren, die unter der Hand zu einer Metapher werden für das besinnungslos beschleunigte Herumwirbeln von Menschen und Waren in der heutigen Welt.
Später, auf dem Rückweg über Dubai mit Aufenthalt im Emirat Sharjah, wo ich in wenigen Tagen vom Taxifahrer übers Hotelpersonal bis zur Ausstellungsaufsicht rund zwölf verschiedene Nationalitäten zähle, werde ich noch öfters gerade an diese Arbeit zurückdenken. Der Zufall will es, dass mir während des Flugs eine Buchbesprechung in der New York Times auffällt: Der Autor Deepak Unnikrishnan hat die Erfahrungen der indischen Arbeitsmigranten in den Emiraten auf drastische Weise verarbeitet. Es ist, wie ich bald darauf feststelle, trotz (oder wegen….) viel schwarzem Humor keine sehr erbauliche Lektüre. (Rezension hier: https://nyti.ms/2n0m5Ok .) Noch später nehme ich mich mit Lantian (Lee) Xie via Facebook Kontakt auf – und bekomme mit, dass er genau dieses Buch soeben für die Kunstzeitschrift Art Asia Pacific besprochen hat.
Vielleicht noch ein weiteres gelungenes Beispiel aus der Palette der Werke an der Kochi-Biennale, die mit Atmosphären, Räumen und Sound arbeiten: Die Japanerin Yuko Mohri hat in den ehemaligen Laborräumen des Aspinwall Houses, verwinkelten und aseptisch weissgefliessten, halbhohen Werkabteilen, eine ganze Reihe unscheinbarer kinetischer Soundobjekte aufgebaut: elektronisch mit Zufallsmechanismen gesteuerte Glockenspiele, Glasharfen, Windharmonikas an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit. Man kann sich dem Charme dieses wie von den Nachklängen einer früheren Labortätigkeit belebten Ambientes kaum entziehen.

Ergänzend noch eine kurze Soundaufnahme aus der Installation „Call“ während meines Besuchs:
Spezielle Atmosphären sind aber bei weitem nicht das einzige Thema dieser Biennale; es lassen sich auch zahlreiche weitere interessante Stränge ausmachen, in denen beispielweise künstlerische Formen des Erzählens von Geschichten und Geschichte eine Rolle spielen. So beeindruckte mich etwa der raumfüllende, exakt fünfundzwanzig Meter lange Fotofries von Dai Xiang mit „Dorfgeschichten“ in der Tradition chinesischer Bilderrollen als spannendes Beispiel einer postphotografischen Montagetechnik. Detailreich, als sei’s ein Gemälde von Brueghel, und ironisch nimmt Dai Xiang den rauhen chinesischen Alltag aufs Korn. (Hier geht’s zu einer Besprechung einer früheren Ausstellung dieses 2014 entstandenen Werks mit Bildern: https://nyti.ms/2oPGavg
„Pandemie“ von Aleksandra Ska (Polen) gehört eher in die Kategorie „Aussichten auf die Schrecken der Gegenwart“, mit der der Kurator die Biennale durchaus imprägniert hat, wenn auch auf insgesamt eher zurückhaltende Weise. Die Künstlerin erfindet fiktive Pandemien – ein im Zeitalter immer neuer, zuvor kaum bekannter Infektionskrankheiten wie Sars oder Zika-Virus gar nicht mehr so unwahrscheinliches Szenario. In diesen Themenkreis gehört auch die gefährdete „Natur“ oder „Umwelt“, die längst eine von Menschen produzierte Problemzone ist und in verschiedenen Arbeiten auftaucht, etwa in Ravi Agarwals elegischer Dokumentation einer indischen Fischerexistenz (wie man sie in Kochi bei den angeblich so einzigartigen „chinesischen Fischernetzen“ mit ihrer Steinzeit-Mechanik morgens früh auch live vorgeführt bekommt). Sie praktiziert die Entschleunigung als Alternative zu einer immer hektischeren und dabei immer zielloseren Gegenwart gleich selber.
Es gäbe noch von einigen weiteren der insgesamt 97 Kunstschaffenden aus nicht weniger als 35 Ländern zu berichten, die zum Gelingen der Kochi-Biennale 2016/17 beitragen; indische Zeitungs-Karikaturisten und Comicschaffende etwa, die sich mit dem politischen Alltag auseinandersetzen oder Künstler, die auf die Tradition der indischen Miniaturmalerei unter den Moghuln und die Wandmalerei zurückgreifen und sie neu interpretieren.
Die meisten Kunstwerke finden sich in den weitläufigen und etwas unübersichtlichen Gebäuden des Aspinwall Houses, die sich rund um einen parkartigen Innenhof ansiedeln und auf einer Seite den Zugang zur Lagune eröffnen. Diese Situation erinnert an die Biennale von Venedig, auch wenn man keine Sekunde vergisst, dass man in Indien und damit in einer völlig anderen Welt ist. Etwa wegen der farbenprächtigen Saris der Frauen, wegen der unbekannten Vogelstimmen oder weil die Biennale jetzt, in der letzten Woche, zwar auch unter der Woche erstaunlich gut besucht ist, aber ganz klar kein Mekka des internationalen Kunsttourismus wie Venedig, sondern dominiert von einem neugierigen indischen Publikum, das in Familienverbänden oder Gruppen von Jugendlichen hier durchflaniert, Selfies vor Kunst macht und zumindest für meine Augen nicht nach Schickeria aussieht.
Zu meinem positiven Gesamteindruck der Biennale gehört, dass ich nur wenige der teilnehmenden Kunstschaffenden bereits von anderen Ausstellungen her kannte; sie wirkt auf mich dadurch erfrischend, eigenständig und repetiert nicht den üblichen Biennale-Wanderzirkus. Der Akzent liegt, was nicht weiter verwundert, auf Positionen aus dem nahöstlichen und asiatischen Raum, gemixt mit einigen Gästen aus Europa und den USA.
Deren Anwesenheit scheint sich auch der Tatsache zu verdanken, dass sich diese Biennale zum Teil mit Fördermitteln aus Europa und Nordamerika alimentiert; und es erstaunt kaum, dass Kunstschaffende aus den Ländern, die entsprechende Förderinstrumente haben (wie Deutschland mit dem Goethe-Institut, die Schweiz mit der Pro Helvetia, Frankreich mit dem Institut Français, Norwegen mit dem OCA und so weiter), hier entsprechend vertreten sind. Abgesehen davon ist die Liste der Sponsoren und Gönner dieser hauptsächlich von der Regierung von Kerala öffentlich finanzierten Biennale eindrücklich und aufschlussreich. So gehört beispielsweise auch das Google Cultural Institute dazu. Indien gilt als aufstrebendes Land, und solche Details zeigen, das die Kolonisierung 2.0 voll im Gange ist
Ich schlendere ein letztes Mal durch den Innenhof des Aspinwall House, wo sich auch der einzige Beitrag eines Schweizer Künstlers zu dieser Biennale findet: Eine grosse skulpturale Bodenarbeit von Bob Gramsma. Er hat eine Mulde ausheben lassen, mit Beton füllen lassen und dann das Resultat wie eine grosse unregelmässige Bodenplatte leicht schräg anheben lassen. Es sieht nun aus wie ein brachial von einer unbekannten Kraft entwurzeltes Fundament. Eine eindrückliche Studie über das Verhältnis von Form und Guss, Positiv und Negativ, glatter Oberfläche und unregelmässigem Untergrund, wie Gramsma sie in Varianten auch schon in Zürich und Lenzburg ausgeführt hat. http://bobgramsma.com/works_current.php?nr=161
In Kochi spielt ihm allerdings der Kontext ein wenig einen Streich: Innerhalb des Biennalegeländes ist die Arbeit zwar eine markante Geste. Aber die meisten Besucherinnen gehen trotzdem achtlos daran vorbei, können offenbar nicht viel damit anfangen. Ich kann mir die Gleichgültigkeit nach einigen Tagen auf den Strassen von Kochi sogar erklären: man sieht hier so viel Beton in allen möglichen Formen und Zuständen, so viel Bruch und Trümmer auch, dass die grosse Geste ein wenig an Prägnanz verliert. Sie erinnert vielmehr an eine dieser vielen halbfertigen Baustellen, denen man überall begegnet.
Same same but different: das gilt wohl auch insgesamt für diese Biennale. Nicht die zeitgenössische Kunst ist so grundsätzlich anders hier als anderswo, aber der Kontext, in dem man sie wahrnimmt. Und das verändert auch die Wahrnehmung der Kunst in einem Masse, wie ich es vor dem Besuch dieser lebendigen und eigenständigen Biennale nicht erwartet hätte. Eigenständigkeit ist auch noch ein Stichwort: In Kochi bestätigt sich mir, was ich vor einem Jahr in Hongkong beobachtet hatte: Die europäisch-nordamerikanische Kunstachse ist längst nicht mehr die einzige Referenz für die „emerging art worlds“. Gerade eine junge, schon im globalen Kontext aufgewachsene Künstlergeneration demonstriert wachsendes Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit von ihr und zeigt, dass sie frühere Stadien von Imitation und Appropriation hinter sich gelassen hat.
Ein letzter Höhepunkt der Reise kommt für mich ganz unerwartet am Ende meines Besuchs in Kochi, in Form eines Konzerts, das im Pavillon der Biennale geboten wird: Der mitreissende Auftritt des offenbar, wie das zahlreiche Publikum beweist, bekannten nordindischen Sufi-Musikers Mir Mukhtiar Ali. Ich verdanke es der Schweizer Künstlerin Nesa Gschwend, die ich zufällig in Kochi auf dem Biennalegelände traf, dass ich von diesem Konzert gewusst habe – und verlinke weiter unten gerne auf die Youtube-Gesamtaufnahme, die die Kochi-Muziris-Biennale inzwischen ins Netz gestellt hat. Früh am nächsten Morgen fahre ich mit dem Volvo-Bus zum Flughafen und lande einige Stunden später in der heruntergekühlten Stahlglaswelt von Dubai International.
Ich habe nicht berichtet von der Hindu-Hochzeit in Ernakulam, in die ich zufällig geriet, vom grossen Kinderpark mit Uralt-Riesenglobus (siehe Header) an der Uferpromenade dort, von den byzantinischen Ein- und Ausreiseformalitäten und den Holzelefanten der Immigration Officers, in den Überwachungskameras versteckt sind, vom staatlichen Reisebüroangestellten, der seine nackten Füsse auf dem Pult liegen hatte und diese auch nicht herunternahm, als ich eintrat und etwas fragte, von einer Motorradfahrt auf dem Soziussitz durch den Verkehr von Kochi, vom holländischen Friedhof und der Grabplatte Vasco da Gamas sowie vom Kichererbsenröster. Aber es ging ja, vor allem, um die Biennale von Kochi-Muziris.
(c) Bild/Text Barbara Basting 2017
Links:
http://www.kochimuzirisbiennale.org/kmb_2016_curatornote/#
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