Dem Architekten Carlo Scarpa verdankt sich einer der schönsten Länderpavillons in den Giardini der Biennale von Venedig. „Venezuela“ steht in mageren, aber selbstbewussten Lettern darauf. Während der Eröffnungstage der Kunstbiennale von Venedig 2019 war er geschlossen. War das etwa eine Kunstaktion?

Durchdachte Volumen, raffinierte Lichtführung, sorgfältige Details – der venezolanische Pavillon ist ein Juwel. Passt zur prominenten Lage beim Eingang in die Giardini, neben dem Schweizer Pavillon von Bruno Giacometti. Dessen architektonische Haltung weist Parallelen zu jener Scarpas auf: die funktionale, kühle Formensprache der Moderne wird bei beiden durch den Bezug zur Natur, Leichtigkeit und Individualismus gebrochen.
Auch stammen beide aus den Fünfzigerjahren: jener von Giacometti entstand 1951/52, der von Scarpa 1954-56. Beide Nationen waren verspätete „Newcomer“ auf dem Areal der Giardini, wo die Biennale 1893 gegründet wurde und aus dem Geiste des Nationalismus des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg etliche Länderpavillons entstanden. Venezuela war zugleich das erste lateinamerikanische Land mit Pavillon in Venedig.

Doch an den Preview-Tagen der Kunstbiennale 2019 steht der venezolanische Pavillon leer und verwaist[1]. Im unaufgeräumten Innern erspäht man herumstehende Überbleibsel von der letzten Architekturbiennale, draussen liegt Gerümpel neben vertrocknetem Laub. Die Tür ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Nicht einmal ein Zettel erklärt, was los ist. Ein trauriges Bild, zugleich eine Metapher für den aktuellen Zustand des Landes, während bei den Schweizern das Publikum Schlange steht.
Als Venezuela erstmals bei der Biennale dabei war, boomte das Land und schaffte den Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Lange galt es als Vorzeigestaat in Lateinamerika. Heute steckt es in einer tiefen Staats- und Wirtschaftskrise. Aufstieg wie Niedergang sind eng verknüpft mit der totalen Abhängigkeit der Volkswirtschaft vom Öl: Die Einnahmen verführten den jeweils herrschenden Klüngel zur Selbstbedienung – und aus Wut brachte das Volk 1999 den Populisten Hugo Chávez ans Ruder. Eine weitere Aufblähung der Staatsausgaben folgte. Der Einbruch der Ölpreise am Weltmarkt ab 2012 gilt als direkter Auslöser der aktuellen Krise.
Ganz anders präsentiert sich die Situation der Schweiz. Sie konnte nach dem Gemetzel des zweiten Weltkriegs ihr weltweites Ansehen als „neutrale“ Nation etablieren und zugleich am Wirtschaftswunder in Europa teilhaben. Als Land fast ohne natürliche Ressourcen war sie das komplette Gegenteil von Venezuela. Sie setzte auf die Entwicklung von Wissen und Technologie – und auf ihre Rolle als internationale Drehscheibe, besonders im Finanzsektor, sowie als „safe haven“ für die Vermögen von Potentaten und Steuerflüchtlingen. Wohl nicht zu knapp auch solche aus Venezuela[2].
Nun trägt das Biennale-Prinzip der nationalen Pavillons in Venedig dazu bei, die inzwischen übermächtigen transnationalen Verflechtungen eher zu kaschieren, statt sie mit künstlerischen Mitteln zu thematisieren. Unvorstellbar sind heute auch Aktionen wie jene von 1974, als die Biennaleleitung die gesamte Biennale Chile widmete, aus Protest gegen den Militärputsch in Chile und die darauffolgende Diktatur Augusto Pinochets. Im Jahr 2019 zieht die Kunstkarawane ungerührt weiter und schweigt.

Fast zwei Wochen nach der Biennale-Preview, am 19. Mai, wurde der Pavillon der República Bolivariana de Venezuela übrigens doch eröffnet – vom Kulturminister des Landes. Kuratiert hat ihn der Vizekulturminister, vorgestellt werden die Künstler Gabriel Lòpez, Ricardo Garcia, Nelson Rangel und die Künstlerin Natali Rocha. Die Verzögerung sei eine Folge des Embargos der USA sowie der EU, liest man in Medienberichten aus der italienischen Sektion der kommunistischen Internationale, die anwesend war und dem amtierenden Präsidenten Maduro die Stange hält. Dem wolkigen offiziellen Statement zufolge beruht der Pavillon 2019 auf dem Konzept der drei Fenster, die Blicke auf die libertäre Identität und Entwicklung der Bolivarischen Republik Venezuela in Raum und Zeit eröffnen und diese feiern sollen. Unter anderem mit Volksgesängen, Masken und einer Performance im Katzenkostüm[3].
«Hört auf zu lügen», protestiert spontan ein venezolanischer Kunstschaffender noch vor diesem Auftritt – stellvertretend für viele, die die Regierung Maduro als kulturfeindlich und menschenverachtend kritisieren.
«May you live in interesting times», lautet das Motto des Kurators Ralph Rugoff für die Biennale von 2019. Dass das angesichts der Krisen der Gegenwart, von denen Venezuela nur eine ist, ziemlich zynisch klingt, dürfte ein kalkulierter Effekt sein. Von der Kunst wird demnach, anders als in der Moderne, längst nicht mehr erwartet, das richtige Leben im falschen zu modellieren. Der leere Pavillon von Venezuela war das Monument der Stunde für den Absturz nach dem Höhenflug solcher und anderer Illusionen.
Zuerst erschienen in: Diaphanes Magazin 6/7, Sommer/Herbst 2019
Text und Fotografien: Copyright Barbara Basting /Diaphanes Verlag
[1] https://elpais.com/cultura/2019/05/09/actualidad/1557409379_415111.html
[2] https://insideparadeplatz.ch/2019/05/29/venezuela-geldwaesche-erfasst-bank-vontobel/
Neuester Stand 17.1.2020: https://www.swissinfo.ch/eng/paper–billions-of-venezuelan–suspicious-funds–in-swiss-banks/46293650
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