Der Algorithmus und ich (2): Über nichtdigitale Speichermedien

Der Facebook-Algorithmus hat mitbekommen, dass ich was mit Kunst und Museen habe und setzt mir aus dem Pool meiner früheren Posts den Schnappschuss eines Louvre-Billets vor. Das Fetzchen hatte zum Zeitpunkt des Postens schon Jahrzehnte als Lesezeichen in einem nichtdigitalen Speichermedium überdauert, einem Taschenbuch aus meiner Pariser Studienzeit.
Mein Louvre-Tag war damals der erste Sonntag im Monat. Gratiseintritt! Zu blöd, die Seitenkabinette mit Dürer und Vermeer waren nur wochentags geöffnet. Für Studierende galt der »tarif réduit C«. Halber Preis, acht Francs: der Gegenwert von drei Baguettes. Heute ist der Louvre für die EU-Jugend bis 26 gratis. Der volle Eintritt liegt bei 15 Euro, Gegenwert von mindestens fünfzehn Baguettes.

 


Allerdings ist der Louvre auch um einiges größer als damals. Der »Grand Louvre« mit I.M Peis heftig diskutierter Glaspyramide war eines der »Grands Projets« von Präsident François Mitterrand. Zusammen mit seinem Minister Jack Lang führte er eine Kulturoffensive, als könne man damit die schon angeknackste »Grande Nation« retten. Keine Regierung seither hat noch derart beherzt an die Reformkraft der Kultur geglaubt. Töricht nur, dass selbst der Sozialist Mitterrand quasi royalistisch fixiert war auf »Grandeur« – und auf Paris.
Touristisch ist der »Grand Louvre« zwar ein Riesenerfolg und das meistbesuchte Museum der Welt. Aber trotz der Expansion nach Lens, in die wirtschaftlich gebeutelte Provinz, und trotz Eröffnung einer Islam-Galerie ist der Kulturglaube verdampft, ein Louvre könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Eher dienten solche Manöver, wie auch die kontroverse Gründung des Louvre Abu Dhabi, der Profilierung einer kultur­touristischen Marke.
Nun plötzlich dies: Der neugewählte französische Präsident Emmanuel Macron benutzt doch ausgerechnet die neopharaonische Glaspyramide als Staffage für seine erste Rede und legt auch hier die Latte hoch, in dem er auf den »Wagemut der Pyramide« und den Louvre als Gründungsikone republikanischer Kultur verweist.
Nicht nur angesichts solcher Pathosformeln kommen mir meine Louvre-Besuche von 1984 vor wie Tauchgänge in einer Zeitkapsel aus dem 19. Jahrhundert. Ihr Herzstück waren die Grande Galerie und der Ständesaal mit den Italienern sowie die Säle mit den grandiosen Historienschinken von Delacroix und Géricault. Man stand davor und versuchte sich was zu denken.
Denn der Louvre, dieses Produkt der französischen ­Revolution, aus dem sein Gründer Vivant Denon ein ­Museum des Volkes machen wollte, war noch 1984 ein Museum der Eliten. Vermittlung, außer dürren Namens- und Jahresangaben: zéro. Er war aber auch ein Hort der Kunst vor der Bilderflut, ein Museum vor dem Museumsshop, dem Museumsselfie und einer beflissenen Vermittlung. Es gab nichts als die Kunst. Also versuchte man zu verstehen, was diese Kunst war. Wenn man es hier nicht verstand, wo dann?
Über allem lag ein Zauber, den die geölte Kunstkonsummaschine mit Shoppingmall-Direktanschluss für mich verloren hat. Das ­Ticket von 1984 ist unversehens zum Eintrittsbillet in diese Welt von gestern geworden.

 

PS: Die Aktie schwankt um 150 Dollar. Der Ex-Facebook Executive Antonio Garcia-Martinez reflektiert im »Guardian« über ethische Probleme der zielgruppenorientierten Werbung von Facebook: https://www.theguardian.com/technology/2017/may/02/facebook-executive-advertising-data-comment, und der Netzkritiker Geert Lovink fragt in seinem jüngsten Buch: »What is the social in social media«? http://eu.wiley.com/WileyCDA/WileyTitle/productCd-1509507760.html

Und hier geht’s zu früheren Blogbeiträgen:

http://www.diaphanes.net/blog/barbara-basting-der-algorithmus-und-ich-4489/der-algorithmus-und-ich–2–4738